24h-MTB: Podestplatz für „d30rty Overload“

GIESSEN/NÜRBURG – Mit einem dritten Platz beendeten Matthias Steinberger und Patrick Schwab das 24-Stunden-Mountainbikerennen bei Rad am Ring auf dem Podest. Es wurde bis in die letzte Runde gekämpft und verteidigt.

Der Gießener Matthias Steinberger und Teamkollege Patrick Schwab aus Herzberg am Harz feierten am Nürburgring gleich zwei starke Platzierungen. Sie bewiesen ein energisches Durchhaltevermögen und erkämpften sich unter den 2er-Teams den dritten Platz in der Altersklasse Master 1 (1979-88) und einen fünften Platz in der Gesamtwertung. Die langjährigen Freunde absolvierten insgesamt 52 Runden auf einer 8,8 Kilometer langen Strecke mit rund 200 Höhenmetern. Die Plätze eins und zwei der Gesamt- und Altersklassenwertung belegten die Teams „Radon Jentschura Bike Team“ und „RC Herschbroich/RSC Mayen/Radsport Breuer“.

Die beiden leidenschaftlichen Radsportler sind als Team „d30rty Overload“ in ein Langstreckenrennen gestartet, das sie nicht nur durchhalten, sondern auch auf dem Podest beenden wollten. Um sich reibungslos auf ihre Runden konzentrieren zu können, erhielten sie tatkräftige Unterstützung von Schwabs Frau Friederike und der befreundeten Physiotherapeutin Kristina Jago. Radsportnachrichten.com berichtete bereits über die Startphase. Matthias Steinberger erklärt nachfolgend wie das Rennen verlaufen ist und warum sie in der Nacht kurz davor waren frühzeitig vom Sattel zu steigen.

Matthias Steinberger: ohne Schlaf in jeder Runde hoch konzentriert auf dem Mountainbike. Foto: Friederike Schwab

Von Matthias Steinberger

Vor dem Start können wir es immer noch nicht fassen: wir stehen jetzt hier und liefern uns gleich das härteste Rennen unserer bisherigen Laufbahn. Ein Rennen über 24 Stunden ist immer ungewiss. Es kann vieles passieren, das vorher nicht planbar ist. Dennoch sind wir uns sicher, dass wenn wir es schaffen sollten so lange durchzuhalten, am Ende eine gute Platzierung steht. Der Startschuss fällt um 12:47 Uhr. Das erste Viertel verläuft absolut nach Plan. Wir erhöhen von Zweier- auf Dreier-Stints (Runden) damit der im Teamlager wartende Fahrer eine ordentliche Mahlzeit zu sich nehmen und in Ruhe verdauen kann. Zu Beginn benötigen wir für eine Runde 22-25 Minuten. In den Zwischenergebnissen sind an der Spitze der insgesamt 26 Teams bereits sehr starke Rundenzeiten zu erkennen. Dahinter formiert sich ein dichtes Feld, in dem wir in der Mitte stehen.

Im zweiten Viertel erreiche ich einen Tiefpunkt: die Oberschenkel machen dicht, während der erste Vierer-Stint erfolgt. Regulär sind zwei solcher Stints geplant um dem Anderen vor der Nacht etwas Zeit zum Schlafen einzuräumen. Nun gehe ich nach drei Runden von der Strecke und übergebe an Patrick. Dank unserer Funkgeräte konnte ich die Info rechtzeitig weitergeben. Patrick steht ohne Schlaf bereit und startet seinen Vierer-Stint. Kristina hatte nun ihren ersten Einsatz an meinen Beinen. An Stelle des geplanten Schlafes erhalten die Oberschenkel eine Wiederbelebung. Meine Mentalität befindet sich in den nachfolgenden Runden kurzzeitig im Keller. Es sind noch keine 12 Stunden vergangen und die Beine zwicken, als lege das Rennen bereits hinter uns. Wie erkläre ich das Patrick? Ein weiterer Blick in die Liste und wir nähern uns bereits den Top-Fünf.

Das dritte Viertel spielt sich in der Nacht ab. Erfahrungsgemäß werden hier die Karten neu gemischt. Man kann Runde um Runde zusehen, wie sich Platzierungen ändern. Unsere Taktik sieht Zweier- und Einer-Stints vor. Den ersten Zweier muss Patrick auf eine Runde verkürzen. Seine Augen wollen sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnen – und das ist ungewöhnlich für ihn. Erste Sorgen machen sich breit. Ich übernehme mit einem Zweier-Stint während Patrick eine zweite Leuchte von seiner Frau Friederike erhält. Sie wurde vorab von mir instruiert. Sie hat alles im Griff. Mit insgesamt zwei Leuchten (Kopf und Lenker) hat Patrick wieder in das Rennen gefunden. Mit Spannung verfolgen unsere Betreuerinnen die Zwischenergebnisse. Zack! Um Mitternacht bewegen wir uns in der Altersklasse tatsächlich auf dem dritten Platz. Nur 24 Minuten vor Platz vier. Es scheint alles wieder nach Plan zu verlaufen.

Es muss zwischen 2 und 3 Uhr nachts gewesen sein als Patrick unterwegs einen Tiefpunkt erleidet. Schwäche, Müdigkeit, Hunger… das volle Programm. Bei Übergabe des Transponders teilt er mir mit, er könne sich nicht vorstellen nach mir wieder auf sein Bike zu steigen. Er weiß nicht was los ist und muss sich hinlegen. Später erfahre ich, dass er sich Scheintod in das Fahrerlager legte. Unsere Betreuerinnen stehen vor einer gewaltigen Aufgabe. Einer, der ratlos auf der Strecke fährt und eigentlich nach zwei Runden etwas essen möchte und einer, der nicht mehr ansprechbar ist, aber noch atmet. Ich erlebe den schlimmsten Stint, da ich weder weiß was meinem Kollegen fehlt, noch wie es weiter gehen soll. Zu meinem Glück haben sich meine Beine etwas beruhigt, aber der Magen schreit nach Nahrung. In Runde zwei lasse ich mich aufklären. Wir einigen uns darauf Patrick in Ruhe zu lassen und zu warten bis er aufwacht. Anstatt Müsli im Lager zu löffeln schiebe ich mir unterwegs ein Gel in den Mund. Für Runde drei lasse ich mir eine Banane anreichen. Die Gedanken auf der Strecke sind eine Mischung aus Ratlosigkeit und der Sinnfrage hier nun alleine zu fahren. Es ist eine Faszination, dass ich ohne Müdigkeitssymptome gerade die vierte Runde einschlage. Wo auch immer die Kraft dafür so plötzlich her kommt, ich hoffe sie verlässt mich jetzt nicht. Es sind noch sechs Stunden bis ins Ziel. Ich bin hungrig. Der Vorsprung auf Platz vier ist unverändert. Wenn ich jetzt zum Essen anhalte verlieren wir Zeit, aber ich kann nicht alleine pausenlos durchfahren. Wir werden den dritten Platz verlieren. Sollten wir besser aufhören?

Mit einem unbeschreiblichen Sonnenaufgang beginnt das letzte Viertel. Ich sitze mit leerem Blick im Teamlager, kaue ein Brötchen und vertilge dazu einen Pfefferbeisser – so wie ich es verlangte. Daneben dampft eine Tasse Kaffee. Hinter mir liegt Patrick im Kofferraum seines Autos. Immer noch regungslos. Kristina, Friederike und ich spielen anhand der Zwischenergebnisse alle Möglichkeiten durch. Sprich wir überlegen, ob ich da wieder hinaus sollte und wozu? Ich kann mir Dreier-Stints mit 10 minütigen Pausen dazwischen vorstellen. Wo kommen wir da am Ende hin? Unser Vorsprung beträgt nur noch 13 Minuten. Die ersten beiden Plätze sind übrigens seit Beginn des Rennens aussichtslos. Die fahren sogar um den Gesamtsieg. Plötzlich erwacht Patrick von den Toden, sieht mich im Stuhl sitzen, streift sein Trikot wieder über und sagt: ,,Ich kann hier nicht herumliegen, während du alleine weiter machst. Ich fahre jetzt eine schnelle Runde und du isst in Ruhe weiter.“ Er kommt so schnell wieder zurück, dass niemand von uns bereit steht. Also hängt er noch eine zweite Runde an. Danach bin ich wieder an der Reihe. Wir pushen uns gegenseitig mit größtem Respekt. Ich ihn, weil er wieder im Sattel sitzt und er mich, weil ich mich in der Nacht nicht vom Sattel entfernte.

Der Vorsprung auf unsere Verfolger erhöht sich Runde um Runde um wenige Minuten. Drei Stunden vor Zielschluss wird es dennoch knapp und gefährlich für uns. Wir können es schaffen, aber es darf jetzt nichts mehr passieren. Keine Panne, kein Fahrfehler. Kein Einbruch. Volle Konzentration. Wir haben das Verfolgerteam nie gesehen, aber sie jagen uns seit dem Positionswechsel um Mitternacht. Nur noch drei Stunden durchhalten! Den dritten Platz versuchen wir mit allem zu verteidigen, das dem eigenen Körper noch zu entnehmen ist. Nach Zielschluss steht es dann endlich fest: wir haben den dritten Platz in der Altersklasse verteidigen können!

Neben allen Strapazen führten wir etwa 12 Stunden lang einen energischen Kampf um Platz drei, der dadurch noch bedeutsamer für uns geworden ist. Man kann sich vieles vornehmen und dafür trainieren, doch eine Leistung anzukündigen und sie dann Tag genau umzusetzen ist keine Selbstverständlichkeit. Es freut uns sehr, zusammen mit unseren Betreuerinnen, tatsächlich einen Platz auf dem Podest eingefahren zu haben.

(sd/mst | Foto Titelbild: Kristina Jago)

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Matthias Steinberger
Stv. Redaktionsleitung | Leitung Fotoredaktion | Ressortleitung Mountainbike, Radreise, Technik | Formatchef "Wohin am Wochenende" | mst@radsportnachrichten.com

Wohnt in Gießen, treibt seit dem Jahr 2018 das Ressort Mountainbike voran und ist Erfinder und Leiter des Formats "Wohin am Wochenende". Als Stv. Redaktionsleiter ist er eine Säule der Redaktion und zählt zum Inventar. Seine Wurzeln liegen im XC-Sport und führten durch mehrere Stationen. Der noch immer aktive Ausdauersportler ist keineswegs festgefahren. In unserer Redaktion stürzt er sich voller Begeisterung in die Welt des Radsports.

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