Krit-DM: Tagessiege und Meistertitel

GIESSEN – Beim Radrennen „Rund um das Stadttheater“ zu gewinnen, dürfte diesmal so schwer gewesen sein, wie schon lange nicht mehr. Das lag nicht nur an seinem Rennmodus, der als Kriterium regelmäßige Wertungssprints mit sich brachte, durch die das Tagesergebnis ermittelt wurde.

Es lag auch am regnerischen Wetter und den nassen Kurven, die absolute Radbeherrschung und kontrollierten Krafteinsatz erforderten und ein Zuviel hart bestraften. Und nicht zuletzt sorgten die Fahrerinnen und Fahrern selbst für einen ausgesprochen aufreibenden Renntag auf dem flachen 800-Meter-Oval.

Der Renntag „Rund um das Stadttheater“ rief in diesem Jahr die deutsche Spitze des Amateurradsports auf den Plan, denn es ging nicht nur um die ohnehin hoch angesehenen Tagessiege des Traditionsradrennens. Für die Amateure und Elite-Amateure lockte die Deutsche Meisterschaft im Kriteriumfahren und für die Frauen und Juniorinnen gab es frische Punkte für die „Müller – Die lila Logistik Rad-Bundesliga“.

Viele der Startenden verfügten bereits über eine lange Liste an Titeln und Trophäen oder haben bereits eine Laufbahn als Berufsradsportler hinter sich, die der Hamburger Dominic Klemme (Harvestehuder RSV), der als Favorit für das Meisterschaftsrennen der Amateure galt, mit dem der Renntag eröffnet wurde und der seinen Bruder Daniel Klemme als Edelhelfer dabei hatte. 33 Fahrer gingen in das Rennen über 80 Runden (= 64 km) und sieben Wertungssprints. Das vermeintlich kleine Startfeld trog: „Hier sind die Guten am Start“, sagte Günter Schabel, der Vizepräsident für Leistungssport im Bund Deutscher Radfahrer, der die Meisterschaft nach Gießen vergeben hatte.

Moritz Schütz stellt Taktik um und punktet

In vier Qualifikationsrennen hatten sich die Fahrer für das Finale in Gießen qualifizieren müssen. Diejenigen, denen das rasch und souverän gelang, traten dann auch trotz Regen zum Kampf um den Titel und das Meistertrikot an. Einer von ihnen war Lokalmatador Moritz Schütz von der ausrichtenden RSG Gießen und Wieseck: „Ich wollte versuchen, in der ersten Wertung voll mitzugehen, aber habe da schon gemerkt, dass gegen die Klemme-Brüder und die starke Konkurrenz aus Süddeutschland nichts zu machen war. Dann habe ich versucht, hier und da mal eine Attacke zu setzen, aber man hat einfach gemerkt, dass das Startfeld saustark war. Es konnte sich auch niemand nach vorne absetzen und wir hatten einen sehr schnellen Schnitt dafür, dass die Strecke komplett nass war“, sagte Schütz, dem die Strapazen des Rennens im Gesicht abzulesen waren. Als er seine Taktik dann umstellte, als Erster in die letzte Kurve vor der Johannesstraße einbog, konnte Schütz in einem Wertungssprint als Dritter Punkte holen, die ihn am Ende auf Platz neun kommen ließen. Aber auch an der Spitze des Rennens waren es nicht nur Kraft und Tempohärte, die den Erfolg ausmachten. Daniel Klemme hatte in Zusammenarbeit mit seinem Bruder bereits einige Punkte eingefahren und lag rechnerisch in Führung, als es ins Finale ging. „Ich bin dann ein bisschen zu schnell in die letzte Kurve reingeschossen und über das Vorderrad weggerutscht“, schilderte Klemme seinen Sturz, nach dem er schnell wieder aufs Rad kam, aber die letzte Wertung im Zieleinlauf verpasste. Sein zuvor hart erarbeitetes Punktepolster machte ihn aber auch ohne die letzten Zähler zum neuen Deutschen Meister im Kriteriumfahren, vor Vizemeister Lasse Reuß (Team Belle Stahlbau) und Robert Schreiber (Berthold Rad Team) auf Platz drei.

Podium der DM Kriterium Amateure bei "Rund um das Stadttheater". Foto: Tobias Zappe
Holte den Titel trotz eines Sturzes: Der Hamburger Daniel Klemme (Mitte) vom Harvestehuder RSV ist Deutscher Kriteriumsmeister der Amateure bei „Rund um das Stadttheater“ in Gießen geworden. Foto: Tobias Zappe

Nissel-Brüder auf dem Podium

Im anschließenden Rennen der Senioren 2 und 3 gewann Hans Hutschenreuter von der Melsunger TG und im zeitgleich ausgefahrenen Rennen der Junioren war Jonathan Malte Rottmann vom RC Victoria Neheim der stärkste Sprinter. Im Rennen der Jugend U17 hatte Tim Nissel von der RV Gießen-Kleinlinden in Jermaine Zemke (VC Darmstadt), dem Sohn des ehemaligen Radprofis Jens Zemke seinen direkten Gegner, mit dem er sich packende Wertungssprints lieferte. Es kam auch einmal zum Punktegleichstand der beiden Nachwuchsfahrer, doch dann zog Zemke nochmal an und setzt sich auf den letzten neun Kilometern als Ausreißer ab. Die dadurch mitgenommenen Punkte machten ihn nach 40 Runden (= 32 km) zum Tagessieger vor Tim Nissel. In der Wertung der U15-Fahrer feierte David Werner von der RV Gießen-Kleinlinden als Vierter eine achtbare Premiere bei seinem Heimrennen im ersten Jahr mit Rennlizenz. Den Tagessieg der Schüler U13 sicherte sich nach 20 Runden (= 16 km) Jan Nissel von der RV Gießen-Kleinlinden.

Helena Bieber zeigt ungeplanten Start-Ziel-Sieg

Auf ihr Heimrennen um den „Großen Preis der Stadt Gießen“ freuten sich auch die RSG Gießen BIEHLER ganz besonders. Die Bundesliga-Fahrerinnen der RSG Gießen und Wieseck waren bereits im vergangenen Jahr bei „Rund um das Stadttheater“ souverän gefahren. Diesmal brachten sie aber die Konkurrenz der Rad-Bundesliga mit nach Gießen. Tagessieg und Mannschaftswertung lockten mit Punkten für die Bundesliga-Gesamtwertung, wie die Wertungsrunden, die auf das Konto der Bundesliga-Sprintwertung gingen. Ganz anders als geplant verlief das Rennen für die RSG Gießen BIEHLER schon kurz nach dem Startschuss, den Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz gab. Helena Bieber, die Führende der Rad-Bundesliga, hatte sich direkt abgesetzt, was so aber nicht geplant gewesen sei. Ihre Teamkollegin Lydia Ventker habe ihr ein Zeichen gegeben, dass hinter ihr ein Loch zu den Verfolgerinnen entstanden sei. „Vielleicht weil ich so schnell durch die Kurven gefahren bin.“, sagte Bieber, die von ihrem unbeabsichtigten Vorstoß selbst überrascht war. Sie sei dann einfach weitergefahren, überrundete nach 32 der 50 angesetzten Runden ihre Verfolgerinnen und landete am Ende einen eindrucksvollen Start-Ziel-Sieg, vor Teamkollegin Katharina Fox und Finja Smekal (Drops Le Col). Zum Trikot der Gesamtführenden, das mit dem Heimsieg noch etwas fester auf ihren Schultern sitzt, kam oberndrein das Trikot der besten Sprinterin und der Tagessieg in der Mannschaftswertung.

Marco Kaufmann wiederholt das Vorjahr

Im Hobbyrennen, das ebenfalls durch regelmäßige Wertungssprints entschieden wurde, wiederholte Marco Kaufmann vom Team Rheinhessen nach 30 Runden (= 24 km) seinen Vorjahressieg vor Georg Bienert (SKV Mörfelden-Walldorf) und Max Bindemann (RSG Gießen und Wieseck). Als einzige Frau zwischen 20 Männern setzte sich Liesa Jaworski auf Platz 14 durch. Für ein Schmunzeln und einen packen Zwischensprints sorgte das Duell um die Goldene Ananas. „Es gibt sie ja wirklich“, war Sportamtschef Tobias Erben beim Anblick des Ehrenpreises erstaunt, der sonst nur sprichwörtliche für eher irrelevante Duelle verwendet wird. Bei „Rund um das Stadttheater“ wurde die Goldene Ananas in Realität übergeben und von Peter Köhler vom Team Rheinhessen ernsthaft ersprintet und mit nach Hause genommen.

Zimmer und Obersteiner im Dienste des Teams

Die Liste derer, die das Trikot des Deutschen Kriteriumsmeisters der Elite-Amateure ergattern wollten, dürfte weiteraus länger gewesen sein – allen voran die Top-Favoriten Jonas Schmeiser (RSC Kempten) und Florenz Knauer (Herrmann Radteam). 100 Runden (= 80 Runden) waren für das Titelrennen um den „Großen Preis der Sparkasse Gießen“ zum Abschluss des Renntages veranschlagt. Als Lokalmatadore hatten sich der Biebertaler Niclas Zimmer (Team Erdinger Alkoholfrei) und der Wahl-Gießener Florian Obersteiner (Team 54×11), die beide mit Rennllizenz der RSG Gießen und Wieseck fahren, für das DM-Finale qualifiziert. Ihnen war klar, dass sie bei diesem Rennen im Dienst ihrer Team stehen würden und die eigenen Chancen damit zurückstellen mussten. Das war auch zwingend notwendig, denn das Meisterschaftsrennen wurde ein Ergebnis mannschaftlicher Leistung. Mit zehn Fahrern ging das Team Auto Brosch des RSC Kempten um Jonas Schmeiser an den Start. Nur fünf Fahrer hatte das Team 54×11 um Favorit Florenz Knauer dagegenzuhalten. Zehn Wertungssprints standen an, das Stundenmittel lag schon zu Beginn bei über 47 km/h und die angesetzten 80 km sollten nach rund 1:40 Stunden absolviert sein.

Zieleinlauf DM Kriterium Elite-Amateure bei "Rund um das Stadttheater". Foto: Alexander Specht
Deutscher Meister der Elite-Amateure im Kriteriumfahren: Jonas Schmeiser (Team Auto Brosch RSC Kempten) weiß das Meistertrikot im Zieleinlauf auch an zweiter Position auf seinen Schultern. Foto: Alexander Specht

Die regennasse Strecke spielte dabei vor allem den kleineren Teams taktisch in die Karten, denn so konnten personelle Übermachten und in der Folge ein reines Tempodiktat durch die Radbeherrschung und das fahrerische Geschick Einzelner kompensiert werden. Bestes Beispiel war Florian Tenbruck vom Team Belle Stahlbau, der sich ein Schlechtwetter-Szenario gewünscht hatte und das als Dritter der DM mit 17 Punkten und nur zwei Teamkollegen im Rennen optimal umsetzte. Gut lief es auch für das Team 54×11, das sich in Marcel Franz, neben Favorit Florenz Knauer die Doppel-Sprinterspitze des Teams, die Deutsche Vizemeisterschaft im Kriteriumfahren sicherte. 24 Punkte konnte Franz in neun von zehn Wertung einfahren, für die er auch seinen Teamkollegen dankte. „Ich bin auf alle Fälle zufrieden. Eine Medaille war das Ziel. Das haben wir erfüllt. Der Titel wäre die Zugabe gewesen, aber auf jeden Fall waren wir konkurrenzfähig, hier mitzufahren. Im Sprint versuche ich, meine eigene Linie zu finden, aber ohne meine Mannschaft, die mir den Weg vorbereitet, würde ich da nichts machen“, stellte Vizemeister Marcel Franz die Arbeit seiner Teamkollegen heraus.

Deutscher Meister Schmeiser feiert die Mannschaft

Das Trikot mit den schwarz-rot-goldenen Brustringen geholt zu haben, und es nun in allen Wettbewerben dieser Kategorie bis zur nächsten Meisterschaft tragen zu dürfen, sah Sieger Jonas Schmeiser ebenfalls als Verdienst mannschaftlicher Zusammenarbeit. 39 Punkte und nur eine verpasste von zehn Chancen, machten ihn schon vor dem Finale zum neuen Deutschen Meister im Kriteriumfahren der Elite-Amateure, der aber hart erarbeitet war. „Es war ein richtig harter Kampf. Wir hatten das Rennen am Anfang nicht unter Kontrolle und mussten unsere Taktik dann umstellen. Ich hatte heute nicht die überragendsten Beine. Es war unglaublich, was meine Teamkollegen geleistet haben. Sie haben mir immer wieder die Sprints angefahren und ich musste dann nur noch abliefern. Es ist schon eine riesen Erleichterung, dass ich das dann so umsetzen konnte“, freute sich Jonas Schmeiser, der mit seinen Teamkollegen minutenlang, lautstark und hochverdient feierte.

Multimediale Berichterstattung

Randnotizen zum Rennen findet ihr hier.

Fotostrecken mit Kurzberichten findet ihr hier.

Ein Video mit Stimmen zum Rennen findet ihr hier.

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Stephan Dietel
Gründer | Redaktionsleitung | CvD | Ressortleitung Straße | Leitung Multimediaredaktion | sd@radsportnachrichten.com

Er wohnt im Gießener Ortsteil Rödgen und legte im Jahr 2001 mit Erlebnisberichten über selbst gefahrene Radrennen den Grundstein. Mit großem Interesse am Radsport und am Journalismus entwickelt er mit seinem Team die Radsportnachrichten aus Mittelhessen immer weiter.

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