Reisebericht: Alpencross mit dem Einrad

LICH – Eine Alpenüberquerung mit dem Fahrrad ist an sich schon ein Abenteuer. Wie Matthias Schuh aus Lich seinen Traum einer Alpenüberquerung mit dem Fahrrad in die Tat umsetzte, war aber etwas ganz besonderes: Auf dem Einrad ging es in acht Tagen von Garmisch-Partenkirchen zum Gardasee. Sein Reisebericht erzählt von diesem Erlebnis.

Ein Reisebericht von Matthias Schuh

Nachdem ich schon einige Male über eine Alpenüberquerung mit dem Mountainbike nachgedacht habe, fasste ich im letzten Herbst den Entschluss zur tatsächlichen Durchführung. Nur wollte ich die Tour statt mit dem Mountainbike doch lieber mit dem Einrad durchführen.

Bereits im Januar begann ich mein Training im Bereich Straße, Feld- und Waldweg intensiver zu betreiben. Dazu gehörten auch Fahrten auf den Hoherodskopf und zurück, von unterschiedlichen Startpunkten ausgehend (Rudingshain, Flugplatz Schotten und Jägerhaus zwischen Laubach und Schotten). Ein Mal wurden Graupelschauer, ein anderes Mal ein paar Zentimeter Schnee im Bereich Fischteiche, Niddaquelle und Taufstein zu einer zusätzlichen Herausforderung. Bis zum geplanten Start im Mai hatte ich seit Jahresbeginn bereits über 500 Km auf den verschiedensten Wegen mit dem Einrad zurückgelegt. Für mein Vorhaben habe ich als Einrad ein MUni (Mountain Unicycle) gewählt, das für schlechte Wege besser geeignet ist; eine robuste Ausführung mit breitem Stollenreifen, der ordentlich Grip bietet. Die dicken Reifen in Kombination mit geringem Luftdruck federn auch Unebenheiten besser ab. Der Raddurchmesser von 29 Zoll ist für mich ein guter Kompromiss zum Überwinden von größeren Steigungen und dem zügigen Fahren auf ebenen oder abfallenden Strecken gewesen. Die montierte Bremse kann bei steileren Abfahrten dosiert eingesetzt werden, um hier die Beine deutlich zu entlasten. Da ich weder ein Begleitfahrzeug, noch Gepäcktransport zur Unterstützung hatte, habe ich das Gepäck auf etwa 7 Kg reduziert. Davon wurden ca. 2,5 Kg in zwei speziell am Einrad montierten Taschen und ca. 4,5 Kg in einem Rucksack verstaut. Weder Flick- und Werkzeug, Luftpumpe, Verbandsmaterial, Regenbekleidung, oder auch etwas Trinkwasser durften neben den nötigsten Klamotten fehlen. Selbst an einen speziell angefertigten Sack zum Verstauen des Einrades bei der Rückreise mit der Bahn wurde gedacht.

Über Matthias Schuh

Matthias Schuh

Der in Lich lebende Matthias Schuh, Jahrgang 1964, ist geboren und aufgewachsen in Wiesbaden und mit Abschluss seines Maschinenbaustudiums nach Mittelhessen gezogen. Nach sportlichen Schwerpunkten im Klettern, Bergsteigen und bei Hochtouren kam Anfang der 2000er-Jahre viel Mountainbiken hinzu und nach seinem 50. Geburtstag folgten die ersten Fahrversuche auf dem Einrad. Mit der Übung wuchsen dann die Streckenlängen.

Seit dem Jahr 2018 ist Matthias Schuh Mitglied im RV Germania Hungen, wo er mit den Kunstradsporttreibenden in der Halle verschiedene Tricks und Basics übt. Doch nicht nur in der Halle ist er inzwischen sehr sicher unterwegs sondern fährt größtenteils auf Wald-, Feld- und Radwegen oder auf urbanem Gelände. Dabei ist er mit Radgrößen zwischen zwölf und 36 Zoll unterwegs. Er sei „immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen“, sagt Matthias Schuh. So kommen wöchentlich rund drei bis vier Stunden auf dem Einrad zusammen – und dabei entstehen immer wieder neue Ideen.

Im Juni 2022 war er erstmals als Teilnehmer bei einem Einrad-Marathon in Görlitz dabei, im August 2022 folgte eine Bodensee-Umrundung mit dem Einrad (ca. 220 Km in sechs Etappen). Im September 2022 folgte der Lahnradweg von der Quelle bis zur Mündung (273 Km in vier Tagen) und im Herbst 2022 begannen die ersten Planungen für seine Alpenüberquerung.

Historische Route

Die geplante Route folgte zum größten Teil dem Verlauf der Via Claudia Augusta, einer im Jahre 47 n. Chr. vom römischen Kaiser Claudius erbauten Straße, die bis an die Donau führte. Von der Donau führte sie über den Fernpass, das Inn-Tal, den Reschenpass und das Etsch-Tal nach Trento und weiter bis nach Venedig an die Adria. Die Unterkünfte am Ende jeder Etappe wurden alle vor der Tour gebucht. Auch die Fahrkarte für die Rückreise mit der Bahn bis Garmisch-Partenkirchen wurde vor Reiseantritt gekauft. Somit war alles für den Start am 20.05.2023 vorbereitet.

„Und wozu das Ganze? Irgendeiner muss es ja machen. Wenn ich es nicht mache, wer macht es denn dann?“

Matthias Schuh

Start an der Loisach

Am Samstag um 4:30 Uhr begann dann in Lich die Autofahrt nach Garmisch-Partenkirchen, wo ich um 10:40 auf einem Parkplatz an der Loisach (ein paar Km außerhalb des Ortes) mit dem Einrad die Tour begann. Der erste Teil war ein gut zu fahrender Radweg an der Loisach entlang. Von Ehrwald ging es weiter in Richtung Fernpass. Der erste Teil des Anstieges führte über einen asphaltierten Radstreifen entlang der Passstraße. Danach begann der anspruchsvollste Teil der gesamten Tour. Auf Schotterwegen ging es mit ordentlicher Steigung hinauf bis auf eine Höhe von über 1.250 Meter. Einen großen Teil davon habe ich das Einrad geschoben, um mich nicht völlig auszupowern. Die Schotterwege bei der Abfahrt waren zwar zum Teil noch etwas steiler, konnten aber von mir fast durchgängig befahren werden. Hier war der dosierte Einsatz der Bremse eine wichtige Unterstützung. Um 15:40 Uhr erreichte ich in mein Etappenziel, eine kleine Pension in Nassereith.

Erste Serpentinen

Die zweite Etappe startete ich von hier am Sonntag um 9:40 Uhr. Nach etwa 15 Km erreichte ich bei Imst den Inn, dem ich nun flussaufwärts folgte. Bis Landeck waren es nochmals etwa 25 Km. Weitere sechs KIlometer ging es dann noch weiter, bis es zum zwei Kilometer abseits des Radweges liegenden Fließ abging, wo ich meine zweite Unterkunft gebucht hatte. Leider hatte ich bei meiner Planung übersehen, dass Fließ etwa 270 Hm oberhalb des Radweges liegt und über eine steile Serpentinenstraße mit einigen Kehren zu erreichen war. Gut, dass ein Einrad mit wenig Gepäck leichter zu schieben ist, als ein Fahrrad mit viel Gepäck. Nach insgesamt 48 Km, 560 Hm auf und 320 Hm ab erreichte ich um 16:30 Uhr das Ziel meiner zweiten Etappe.



Fotostrecke: Mit dem Einrad von Garmisch-Partenkirchen zum Gardasee. Fotos: Matthias Schuh


Schotter und elf Kehren

Am Montag ab 8:50 Uhr genoss ich erst einmal die Abfahrt wieder zurück zum Inn-Radweg. Hier konnte ich wieder das Zusammenspiel von Bremseinsatz und passender Gewichtsverlagerung üben, immer darauf bedacht, nicht zu schnell zu werden, um die Kontrolle zu behalten. Jetzt folgte der Radweg wieder dem Verlauf des Inn meist auf asphaltierten Radwegen oder kleinen Straßen, später wieder auf Schotter. Besonders sehenswert war die historische Inn-Brücke Altfinstermünz. Danach ging es wieder auf steilerem Schotterweg (Schiebepassage) aus dem Inntal hinauf auf eine wenig befahrene Straße. Es folgte die Grenze Österreich/Schweiz. Dann führte die Straße wieder hinunter an den Inn. Sehr unangenehm war die Durchfahrt durch eine lange Galerie. Es gab keine Seitenstreifen. Links der Straße fiel das Gelände steil ab, rechts war die Fahrbahn von der steilen Felswand begrenzt. Es blieb nur zu hoffen, dass PKW- und LKW-Fahrer das Schild „Achtung Radfahrer“ registrierten und langsamere Rad- und Einradfahrer frühzeitig erkannten um rechtzeitig zu bremsen. Nach der Inn-Überquerung in Martina, jetzt wieder in Österreich, folgte nun noch eine Herausforderung. Auf einer wenig befahrenen Straße mit elf Kehren mussten nun bis zur Norbertshöhe etwa 400 Höhenmeter überwunden werden. Nachdem ich anfangs ein kurzes Stück geschoben habe, habe ich mich dann doch den größten Teil auf dem Einrad im Sattel hochgekämpft. Von der Höhe folgten nun noch die kaum zwei Kilometer lange Abfahrt (ca. 100 Hm) nach Nauders. Nach 48 Km endete hiermit um 15:20 Uhr die dritte Etappe.

Am Reschensee

Am Dienstag um 8:25 Uhr ging es weiter auf dem Radweg vorbei an saftig grünen Wiesen hinauf zum Reschensee. Die Überraschung war groß, als ich statt des Sees nur eine riesige braune Senke vorfand. Alles Wasser war zu dieser Zeit aus dem See abgelassen, um verschiedene Wartungs- und Umbaumaßnahmen durchzuführen. Auf der riesigen Fläche tummelten sich LKW und Bagger, die im Verhältnis wie Ameisen wirkten. Nur um den Kirchturm von Alt-Graun war durch einen Damm noch das Wasser aufgestaut, so dass dieser wie seit der Mitte des letzten Jahrhunderts aus dem See herausragte. Der Radweg folgte von jetzt an der Etsch, die hier ihren Anfang nimmt. Ab hier ging es viel bergab (in kurzen Abschnitten auch mal mit 20 Prozent Gefälle). Das Wetter war, wie auch die letzten Tage, sehr schön. Sonne und Wolken wechselten sich ab. Gegen 13:00 Uhr hatte ich Prad am Stilfser Joch erreicht, dem Ziel dieser Etappe.

Hinab nach Meran

Am Mittwoch um 8:15 Uhr startete ich in die fünfte Etappe. Auf der Strecke ging es weiterhin viel bergab. Gegen Mittag setzte Regen ein, der für den Rest des Tages anhielt. Somit hatte ich meine Regenbekleidung nicht umsonst dabei. Die Abfahrt nach Meran war ein besonders schöner Teil. Auf einem sehr guten Radweg ging es in weit geschwungenen Kurven ins Tal. Um 15:00 Uhr war ich am Ziel. Mit einem Rundgang durch die wunderschöne Altstadt bei Regen und einer Kugel Eis in der Waffel beendete ich den aktiven Teil des Tages. Am Donnerstag (Start 8:00 Uhr) war es wieder trocken. Ab Mittag kam auch die Sonne raus. Es waren fast keine Steigungen und Gefälle mehr zu überwinden. Die Etsch war inzwischen zu einem stattlichen Fluss angewachsen. Die Etappe, die auch an Bozen vorbeiführte, war mit 38 Km relativ kurz, so dass ich schon um 13:20 Uhr Leifers, mein Tagesziel, erreicht hatte. Auch am Freitag (Start 8:45 Uhr) war die flach verlaufende Route, mit nur etwa 37 Km Länge, früh abgeschlossen. Es gab wieder viel Sonne und um 13:15 Uhr war ich in San Michele am Ziel der Etappe.

Längste Etappe, Glück und Stolz

Der Samstag, an dem ich um 8:05 Uhr startete, war wieder eine größere Herausforderung, da ich an diesem Tag mit 72 Km die längste Strecke zu bewältigen hatte. Weiter an der Etsch entlang, mit einem Abstecher in die schöne Altstadt von Trento, ging es weiter nach Rovereto. (Rovereto sollte auf der Rückreise der Beginn meiner Bahnfahrt zurück nach Garmisch-Partenkirchen sein.) Von hieraus folgte ich noch etwa fünf Km dem Etsch-Radweg um dort in Richtung Westen zum Gardasee weiter zu fahren. Bis dahin ging es jetzt nochmal etwas auf und ab. Das Sitzen auf dem Einrad-Sattel wird natürlich besonders bei sehr langen Touren irgendwann zu Qual. Um 17:30 Uhr erreichte ich endlich meine Unterkunft in Nago-Torbole, die ich für zwei Nächte gebucht hatte. Nach dem Einchecken im Hotel fuhr ich dann die letzten zwei Kilometer nach Torbole. Die Abfahrt auf einer kleinen Straße, die 150 Höhenmeter hinunter zum Gardasee führte erforderte nochmal gut dosiertes Bremsen und die volle Konzentration. Als am See angelangt, machte ich mir die gesamte Tour nochmal bewusst. Mich überkam ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Stolz. Dann den Berg wieder hoch, zurück zu meinem Quartier.

Letzte 19 Kilometer

Am Sonntag folgte noch ein kurzer Einrad-Trip runter an den Gardasee und weiter nach Riva. Das Ganze dann wieder zurück. Am Montag, dem Heimreisetag, startete ich um 6:30 Uhr ein letztes Mal mit dem Einrad. Im 19 Km entfernten Rovereto verstaute ich mein Einrad in einem Pack-Sack und stieg um 9:43 Uhr in den Zug nach München. Nach dem Umstieg in München ging es weiter bis Garmisch-Partenkirchen. Von hier aus folgte die Autofahrt zurück nach Lich, wo um 22:30 Uhr mein großes Abenteuer endete. Garmisch bis Gardasee – Acht Tage – 270 Km – Zwei Pässe – 2.600 Höhenmeter bergauf – 3.050 Höhenmeter bergab.

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Profilfoto Stephan Dietel Radsportnachrichten
Stephan Dietel
Gründer | Redaktionsleitung | CvD | Ressortleitung Straße | Leitung Multimediaredaktion | sd@radsportnachrichten.com

Er wohnt im Gießener Ortsteil Rödgen und legte im Jahr 2001 mit Erlebnisberichten über selbst gefahrene Radrennen den Grundstein. Mit großem Interesse am Radsport und am Journalismus entwickelt er mit seinem Team die Radsportnachrichten aus Mittelhessen immer weiter.

MS
Matthias Schuh

Matthias Schuh ist Gast-Autor bei Radsportnachrichten.com.

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