King and Queen of Mountain 2.0

AMÖNEBURG – Am vergangenen Samstag (17.06.) erfolgte auf der Nordrampe hinauf zur Amöneburg die zweite Auflage des King of Mountain. Im Einzelzeitfahren bewältigten 79 Teilnehmende einen 2,6 Kilometer knackigen Straßenabschnitt mit 162 Höhenmetern. Queen und King of Mountain wurden Sabrina Müller des RSV Marburg und Marc Santo der RV Gießen-Kleinlinden.

Vor zwei Jahren feierte die Stadt Amöneburg ihr 1300-jähriges Bestehen. Der in 2018 gegründete Verein Amöneburg13Hundert organisierte im Rahmen der Jubiläumsfeier am 3. Juli 2021 erstmalig ein Bergzeitfahren für alle RadfahrerInnen, die sich der Aufgabe gegenüberstellen wollten. Die dafür gesperrte Kreisstraße 30 diente als Rennstrecke. Gestartet am Kreisel der L3048 vorbei an der Lindaukapelle, durch die lang gezogene Kehre am Wanderparkplatz Gollgarten und ab dem Lindauer Tor in den steilen Zielanstieg der Kolpingstraße bis zum höchsten Punkt des Ortes an der Katholischen Kirche. Die 30 schnellsten Teilnehmenden durften danach im Massenstart gegeneinander antreten. Nach dem gleichen Prinzip erfolgte vergangenen Samstag (17.06.) die zweite Auflage des King of Mountain.

Unser Redakteur Matthias Steinberger verließ sein Ressort MTB und nahm zur Abwechslung selbst an dem Bergrennen teil. Das er vor Ort auf und neben der Strecke erlebte, berichtet er nachfolgend aus eigener Perspektive:


YouTube-Video | 01:55 Minuten | Bergzeitfahren „King of Mountain“ auf die Amöneburg
Grafik: Jan Heilenz | Foto: Stephan Dietel | Bericht/Kamera/Schnitt: Stephan Dietel.

Der Start des Einzelzeitfahrens war für 16:30 Uhr angesetzt. Eine Abholung der Startunterlagen zwischen 12 und 15:30 Uhr möglich – glücklicherweise unterhalb des kegelförmigen Berges nahe des Startbereiches. Um 13 Uhr in Gießen auf’s Straßenrad gestiegen und locker pedalierend durchs Lahntal und den Ebsdorfergrund zum Kreisel der L3048 / K30 geradelt. Zwei Kilometer zuvor überholte mich Alexander Götz (RSG Buchenau) auf einer Canyon Zeitfahrmaschine. Kann man machen, aber damit das Bergrennen bestreiten? Ich werde später neugierig nachhaken. Viel zu früh am Pavillon der Anmeldung angekommen, den direkten Weg in den Schatten gewählt. Dort die Nummer an den Lenker und Transponder, nach Vorgabe mit Kabelbinder, oberhalb des linken Knöchels befestigt. Ich glaubte klug zu reagieren und zog das Kabel nur leicht an. Erst danach kam mir die bessere Idee, den Chip in die Socke zu stecken. Zu spät! Den Expertentipp gab ich an Lukas Arzt (RSG Buchenau) erst weiter, nachdem er vor meinen Augen den Kabelbinder des Transponders einfädelte. Er nahm es mit Humor. Auf seiner noch frischen Standert Kreissäge wird er mich ohnehin am Berg zersägen. Das wusste ich aber schon vorher. Bei Sabrina Müller und Henrik Wenz des RSV Marburg steckte der Chip bereits professionell in den Socken. Ein mir unbekannter Teilnehmer zog den Kabelbinder zu fest und musste ihn nahezu operativ entfernen. Nächstes Mal kommt das Teil in die Socke, die bei mir offensichtlich höher geschnitten ist, als das gleiche Produkt, das in der Schublade von Sabrina Müller schlummert. Sie ist demnach im Besitz der inoffiziellen Radsportnachrichten-Fansocke.

Wartebereich

Bis zu meinem Start (ca. 17:10 Uhr) waren etwa zwei Stunden zu überbrücken. Man hangelte sich von Schattenplatz zu Schattenplatz entlang der Strecke hinauf in den Zielbereich. Überall waren kleinere Gruppen vorzufinden. Oben saß die Zeitfahrmaschine Alex Götz auf einer Bank inmitten der Burgenruine. Da nahm ich direkt Platz. Sein Canyon nutzte er lediglich für die Anreise aus Bad Endbach. Für das Bergrennen wurde sein Cube Straßenrad des Nachwuchsteams Marco Brenner nachgeliefert. Die größte Dominanz, zunächst gemessen an den Trikotfarben, ging unübersehbar von der RSV Marburg aus. In einem davon steckte Lokalmatador Max Lohmaier, der nach internationaler Fandung endlich wieder in Gespräche zu verwickeln war. Max, unser Wiedersehen freute mich sehr!

Startphase

Um 16:00 Uhr rollte ich hinunter um die ersten Starts zu sehen. Geplant ab 16:30 Uhr im Minutentakt in Reihenfolge der Startnummern – hieß es in der Theorie. Wenige Minuten früher waren es u.a. drei Frauen der MT Melsungen, die das Rennen einläuten durften. Mit Startnummer 42 errechnete sich bei mir ein Start ab 17 Uhr. Auf einem benachbarten Feldweg fuhr ich hin und her. Offiziell nennt man es Warmfahren. Inoffiziell leichte Nervosität. Das letzte Bergrennen ist lange her (RAD RACE Feldberg 2014). Zu allem Überfluss ist mir damals kurz vor dem Sandplacken die Kette von der Scheibe gefallen – beim Herunterschalten auf das kleine Blatt im Rahmen verkeilt. Aus Sicherheitsgründen verzichtete ich für den durchschnittlich 6 % steilen Anstieg auf die 50 Zähne. Um Kräfte zu schonen (und aus Trägheit) fuhr ich den Anstieg zuvor ein einziges Mal in voller Länge hinauf. Machte Stellen aus, an denen entweder die Nacht eintreten wird oder das Ziel vor Augen bleibt. Das persönliche Ziel lautete nicht in die Top 30 zu fahren – um kein zweites Mal im Massenstart hinauf zu müssen. Das schien mir realistisch, denn es waren einige vor Ort, die ich aus der SM-Szene oder durch Hören und Sagen kenne. Mit SM ist übrigens Social Media gemeint, nicht das ihr denkt! Wobei Bergrennen vergleichbare Schmerzen auslösen können. Für mich war klar: mit der Szene kann ich längst nicht mehr mithalten. Dafür bin ich auch nicht hier. Ich möchte viel lieber dabei zusehen, wie sie sich die Klinke gegenseitig in die Hand geben. Apropos übergeben… hinter der Startbox suchte Henrik Wenz einen Ablageort für seinen Rucksack. Ich bot ihm eine Mitnahme nach oben an. Leider fand er eine andere Möglichkeit, sodass mir kurz vor dem Start jegliche Ausrede der zu erwartenden Fahrtzeit genommen wurde.

Rennphase

Um 17:09 Uhr ging es dann los. Zu Beginn vorsichtig. Ab der Lindaukapelle zunehmend schwerfälliger. Die Ebene vor der langen Kurve am Parkplatz Gollgarten nutzte ich für ein kurzes Liegen auf dem Lenkeraufsatz (Control Tech Aero Cockpit AL). Der Schwung beförderte mich gewaltig in den zweiten steileren Anstieg, der wie ein Frontalaufschlag gegen eine Wand fungierte. Nach 7:50 Minuten war alles vorbei. Auf den trockenen Hals folgte ein kühles Radler. War ich ggf. doch etwas zu schnell? Wird es für einen 31. Platz reichen? Max Lohmaier führte bis dato mit 6:47 min das Zwischenergebnis an. Den Streckenrekord stellte Max Bock (Jg. 2005) bei der Erstaustragung mit beachtlichen 5:58 min auf. Der blieb auch für den späteren Sieger Marc Santo der RV Gießen-Kleinlinden mit 6:33 min unerreicht. Im Endergebnis schob sich mit 6:45 min der U19 Fahrer Alexander Götz (RSG Buchenau) zwischen Santo und Lohmaier auf den zweiten Platz. Bei den Frauen zeigte Sabrina Müller von der RSV Marburg mit 7:30 min eine beachtliche Performance und holte sich die Krone der Queen of Mountain. In gemeinsamer Wertung wäre sie zeitgleich mit Vereinskollege Dirk Sycha auf dem 12. Platz gelandet. Auf das Frauenpodest folgten Vereinskollegin Vivien Leuders und Kristina Schalk (MT Melsungen).

Ergebnisse Einzelzeitfahren

Männer
1. Santo, Marc (RV Gießen-Kleinlinden), 06:33
2. Götz, Alexander (RSG Buchenau/Team Marco Brenner), 06:45
3. Lohmaier, Maximilian (RSV Marburg), 06:47

Frauen
1. Müller, Sabrina (RSV Marburg), 07:30
2. Leuders, Vivien (RSV Marburg), 08:27
3. Schalk, Kristina (MT Melsungen), 08:46

Die Gesamtergebnisse der Frauen und Männer findet ihr hier.

After-Race

Nach meinem Radler rollte ich wenige Meter hinunter an die Strecke. Dort begrüßte ich Redaktionsleiter Stephan Dietel, der sich zum Start des Rennens für Videosequenzen positionierte. Währenddessen fuhr Christian Zeman (RSV Marburg) in gewaltigen Schlangenlinien das Steilstück hinauf zum Lindauer Tor. Es lag nicht an meinem Radler. Der Grund war ein anderer: Seine kräftigen Oberschenkel beförderten ein original Schweizer Militärrad, auch als Ordonnanzrad 05 bekannt, mit einer Singlespeed Übersetzung von 50 Zähnen vorne und 19 hinten. Inklusive der Taschen ergab sich ein Gewicht von zarten 27 Kilogramm. Nach 11:27 Minuten erreichte der Radbaroni den 58. Platz. Erst kürzlich, auf dem Delta-Bike Schmelzrennen, erzählte mir jemand von einem Radbaroni, der mit ihm vergangene Woche die Nachtschicht eines 600k Brevet im Rahmen der ARA Mittelhessen verbrachte. Dass Christian Zeman hinter dem Synonym der Extreme steckt, erfuhr ich erst nach dem King of Mountain.

Christian Zeman (RSV Marburg) kämpfte sich auf seinem Schweizer Militärrad, bekannt als Ordonnanzrad 05, mit einer Übersetzung von 50x19 den Berg hinauf. Foto: Stephan Dietel
Christian Zeman (RSV Marburg) kämpfte sich auf seinem Schweizer Militärrad, bekannt als Ordonnanzrad 05, mit einer Übersetzung von 50×19 den Berg hinauf. Foto: Stephan Dietel

Top 30 Massenstart

Wegen örtlicher Schwierigkeiten der Zeitenauswertung dauerte die Bekanntgabe der Top 30 FahrerInnen etwas an. Hungrige Blicke fielen aus unzähligen Gesichtern auf den Food-Truck. Ich liebäugelte bereits am Nachmittag mit einer Portion Pommes. Aus Angst vor einer weiteren Fahrt im Massenstart, wagte sich kaum jemand an die fettigen Gerichte. Vollkommen unerschrocken schlug ich zu, während für Lukas Arzt und Alex Götz der Geruch meiner Pommes unerträglich wurde. Letzterer wäre am liebsten ohne Massenstart auf dem Zeitrad wieder zurück nach Bad Endbach gerollt. Wir alle warteten auf die Bekanntgabe – ich mit Pommes in der Hand auf sicher geglaubter Seite. Die Ausrufung der Nummern erfolgte in willkürlicher Reihenfolge kurz vor 19 Uhr. Nachdem die 42 fiel befand ich mich vor Schreck nah am Wiederkäuer. Wie konnte das passieren? So ein Mist. Nach und nach schossen wir Auserwählten hinunter zum Kreisel. Aufgereiht haben sich letztlich nur 22 FahrerInnen. Ein Fahrer äußerte als größte Sorge, dass oben sein angefangenes Bier leer getrunken wird. In der ersten Reihe sah ich Lohmaier, Götz, Santo, Wenz und Arzt. Nach Startfreigabe per Funk, ging es erneut in den Anstieg. Schnell bildete sich eine Spitzengruppe, zu der auch Top-Triathlet Julian Schepp (Team Naunheim) aufschloss. Das Tempo wirkte bis zur Lindaukapelle taktisch entspannt. Danach wendete sich das Blatt einzelner ziemlich flott. Die Ketten fielen nach rechts. Mit Julian und einem weiteren Fahrer bildeten wir ein Trio, das wiederum den Rhythmus behielt und die Spitze davon fahren ließ. In der Ebene am Gollgarten zog ich erneut den Aerolenker-Joker und versuchte mit starker Tempoverschärfung davon zu fahren. Nach der Kurve, in der Wand, setzten die beiden eine achtbare Gegenattacke. Die warf mich ordentlich zurück. Erst am Lindauer Tor erreichte ich geradeso wieder das Hinterrad von Julian. Ich rief ihm in der Kolpingstraße zu, dass ich mich dort zufrieden fühle und bleiben werde. Ob er mir traute? Im Ziel konnte er es jedenfalls – verdient vor mir. Neben meinem Kampf, bekam ich von dem an der Spitze nichts mehr mit. Dort blieb Max Lohmaier konstant auf Platz drei. Henrik Wenz, im Einzelrennen mit Platz vier knapp am Podest vorbei, gelang der Sprung auf den zweiten Platz, den Alex Götz durch seinen Sieg des Massenstarts freimachte.

Ausrollen

Wenige Minuten nach den Siegerehrungen, gegen 19:50 Uhr, erfolgte für mich die letzte Abfahrt des Tages, jedoch ab Gollgarten über den Südhang in den Ebsdorfergrund. Der überspitzte Abzweig zur L3048 nach Rossdorf zog mich unerwartet nah an den Tellerrand. Obwohl ich oben die angebotene Dose Prosecco ablehnte. Zum Glück sah das Manöver niemand, denn der 15. Platz des Einzelzeitfahrens war mir unangenehm genug – erzählte ich doch zuvor mich irgendwo in der Ü30 einzustufen. Zukünftig halte ich lieber den Mund, nehme mir einen eigenen Rucksack mit oder stehe inaktiv als Fotograf am Streckenrand. Auf meiner rasanten Rückfahrt nach Gießen sah ich auf der L3048 im Ebsdorfergrund nochmals Stephan Dietel, dessen vorheriges Angebot zur Mitnahme im Radsportnachrichten Teamfahrzeug ich dankend ablehnte. Bei Heskem überholte mich Julian Schepp oder jemand mit seinem Rad auf dem Fahrradträger. Wird es vermisst? Habe mir das Kennzeichen nicht gemerkt. Bereits um 22 Uhr saß ich geduscht mit Pizza und regenerativem Benediktiner vor dem TV um mit den Highlights des Downhill Weltcups in Leogang den Tag ausklingen zu lassen.

Hinweis!

Die Austragung des King of Mountain ist im zweijährigen Rhythmus geplant. Merkt euch das Rennen bereits für den Sommer 2025 vor.

Wer nicht so lange warten möchte, kann sich am 26.08. über das Bergzeitfahren an der Schmelzmühle bei Lollar-Salzböden freuen. Weitere Informationen hier in unserem Beitrag vom 27. April.

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Matthias Steinberger
Stv. Redaktionsleitung | Leitung Fotoredaktion | Ressortleitung Mountainbike, Radreise, Technik | Formatchef "Wohin am Wochenende" | mst@radsportnachrichten.com

Wohnt in Gießen, treibt seit dem Jahr 2018 das Ressort Mountainbike voran und ist Erfinder und Leiter des Formats "Wohin am Wochenende". Als Stv. Redaktionsleiter ist er eine Säule der Redaktion und zählt zum Inventar. Seine Wurzeln liegen im XC-Sport und führten durch mehrere Stationen. Der noch immer aktive Ausdauersportler ist keineswegs festgefahren. In unserer Redaktion stürzt er sich voller Begeisterung in die Welt des Radsports.

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